Die über 200-jährige Geschichte der Offizin Scheufele
1808
gründete der aus Göttingen stammende Buchdrucker Gottlieb Friedrich Hasselbrink (1782–1836) in der Enge Straße 8 in einem der ältesten Häuser Stuttgarts, dem ehemaligen »Hauptzoll«, die Offizin Hasselbrink, und stellt sich mit einer einfachen Handpresse dem Wettbewerb der damals fünf bestehenden Druckereien in der schwäbischen Metropole.
Zwei Besitzer der etablierten Druckereien wollten die Neugründung verhindern und klagten gegen Hasselbrink. Durch vor wenigen Jahren erfolgte Einsichtnahme der im Hauptstaatsarchiv Ludwigsburg lagernden Gerichtsakten konnte das Gründungsjahr 1808 (eventuell sogar etwas früher) nachgewiesen werden. Zuvor wurde das Jahr 1812 angenommen.
Die im Zentrum der Stadt schon nach kurzer Zeit etablierte Druckerei – wenige hundert Meter vom Stuttgarter Residenzschloss entfernt – erwarb sich mit der Herstellung von Büchern, Zeitschriften und Jahresberichten beachtliches Ansehen. Ein besonders prestigeträchtiger Auftrag kam 1817 mit dem Druck der Periodika »Regierungsblatt für das Königreich Württemberg« zustande.
1822
Wilhelm Heinrich Nägele (1803–1881) war in der Buchdruckerei Geselle und später als Faktor tätig, heiratete eine Tochter von Hasselbrink und übernahm als junger Mann in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Druckerei. Von seinem Leben ist leider sehr wenig überliefert. Er war in das gesellschaftliche Leben der Stadt Stuttgart sehr integriert, so konnte er ganz im Sinne seines verstorbenen Schwiegervaters die Auftragsstruktur wesentlich erweitern. Es wurden vor allem christliche Literatur, Bibeln und Gesangbücher in beträchtlichen Auflagen hergestellt. Die Vielseitigkeit der Druckerei erkennt man auch durch die über mehrere Jahre dauernde Druckherstellung der Geschichtsreihe »Unsere Zeit«. »Die Blätter für Armenwesen« erschienen ab 1850 sogar im parallel gegründeten Eigenverlag.
Eine interessante »Haus-Chronik« des Firmensitzes hinterließ er 1866 mit einem 16-seitigen Büchlein, diesem gab Wilhelm Heinrich Nägele den Titel »Der sogenannte Hauptzoll«. Das Büchlein vermittelt ein sehr interessantes Stück Zeit-, Orts- und Baugeschichte.
1876
Der noch heute bestehende wesentliche Teil der Firmierung »Scheufele« geht auf Johann Caspar Christian Scheufele (1826–1889) zurück. Der Schwiegersohn von Heinrich Nägele trat als Inhaber der am 7. Juli 1876 in das Handelsregister der Stadt Stuttgart eingetragenen Firma »Buchdruckerei Chr. Scheufele« ins Blickfeld.
Schon Jahre zuvor hatte er als Faktor maßgebenden Anteil am Aufschwung und der wiederholten Vergrößerung des Betriebes. Mehr und mehr wurden über das Setzen und Drucken von Büchern hinaus Geschäftsdrucksachen allgemeiner Art für Büros, Behörden und die aufstrebende Wirtschaft in das Tagesgeschäft eingebunden. Aber auch private Kreise fanden im Hause Scheufele für ihre Wünsche Aufmerksamkeit und für sorgfältige Ausführung die richtigen Ansprechpartner. Als wertvoller Zuwachs stellte sich mit Beginn des Jahres 1884 der Druckauftrag für das »Amtsblatt des Kgl. Justizministeriums« ein.
1890
Carl Keidel (1861–1940), der Sohn von Maria Scheufele aus erster Ehe, übernimmt das Unternehmen. Neue Verbindungen zu Verlagen und zu Geschäftsfreunden aus der Industrie machten es 1892 zwingend, aus der bisherigen räumlichen Enge in den Neubau in der Christophstraße 26 am Rande der Stadt umzuziehen. Heute gehört dieses Gebiet zum Zentrum der Landeshauptstadt. Geprägt wurde dieser Umbau durch die technische Aufrüstung. Allein im Maschinensaal kamen sieben Druckmaschinen zum Einsatz. Eine Investition, die in den Folgejahren auf elf Maschinen anstieg. Die mehrfache Erweiterung des Drucksaals bedingte auch eine Vergrößerung der Setzerei, die dann 1898 im zweiten Stock des Geschäftshauses ihre Bleibe fand. In diesem Jahr erhielt Carl Keidel für seine Arbeit und die seiner Mitarbeiter die hohe Auszeichnung »Königlicher Hoflieferant«.
Carl Keidel blieb der aktuellsten Technik auf der Spur. So war es für ihn 1907 kein Abenteuer, eine englische Lanston Monotype Setzmaschine zu kaufen. Die Buchdruckerei Chr. Scheufele war damals einer der ersten Betriebe in Deutschland, der sich für diese Setztechnik – für die damalige Zeit eine technische Revolution – entschied. Dadurch wurde die Leistung wesentlich gesteigert, wobei der soziale Aspekt – Wegfall von Arbeitsplätzen bei Handsetzern – in Erwägung zu ziehen war.
Es ist unumstritten, Carl Keidel machte sich mit seinem engagierten Einsatz um das grafische Gewerbe verdient. Er war Mitbegründer der Berufsschule und übte viele Jahre das Amt des Vorsitzenden des Buchdruckervereins in Stuttgart aus.
1920
Die Folgen des Ersten Weltkriegs und die Auswirkungen der Inflation hinterließen auch in der Stuttgarter Christophstraße 26 deutliche Spuren. In dieser schwierigen Phase gelang es Schwiegersohn Walter Rau (1879–1957) in seiner Zeit als kaufmännischer Leiter von 1920 bis zu seinem Ausscheiden 1945 den Betrieb einigermaßen im finanziellen Lot zu halten. Dabei kamen ihm seine vorausgehenden Erfahrungen als gelernter Verlagskaufmann, seine Tätigkeit in Berlin und im benachbarten Ausland zugute.
1929
Das Erbe der Väter verantwortungsbewusst weiterzuführen und eigene Wege im grafischen Gewerbe auszuloten – mit diesem Vorsatz ging Carl Keidel jr. (1902–1981) seine Ausbildung an. Die fachlichen Grundkenntnisse erwarb er sich als Buchdrucker und Schriftsetzer, in der Kombination Schweizerdegen genannt, und erweiterte mit dem Besuch der Fachklasse von Professor Ernst Schneidler an der Kunstgewerbeschule in Stuttgart seine typografischen und gestalterischen Fähigkeiten. Bevor er in die Firma seines Vaters 1926 eintrat, holte er sich als erster Farbendrucker bei einer Münchner Druckerei Praxiserfahrungen. 1929 übernahm er die technische und künstlerische Leitung des Betriebs. In einer Zeit voller Ungewissheiten, in der der wirtschaftliche Niedergang in Deutschland seinem Höhepunkt zusteuerte.
Carl Keidel nutzte die dreißiger Jahre, um mit seinem Unternehmen gegen den Strom anzuschwimmen. Das »bloße« Drucken genügte nicht mehr. Seine Leistungspalette richtete er vielmehr in der Gesamtherstellung aus, verknüpft mit besonderem Augenmerk auf eine gepflegte sachliche Typografie, die zunächst von der Stilrichtung des Bauhauses beinflusst war. Auf diese Weise erweiterte er den Kreis der Verlags- und Industriekunden; enge Beziehungen zu anthroposophischen Verlagen mit eingeschlossen.
Die verhängnisvolle Zeit des Zweiten Weltkriegs überstand die Offizin Chr. Scheufele unter anderem mit dem Druck von Feldausgaben deutscher Literatur. Eine schicksalhafte Rolle spielte die große Stuttgarter »Hölderlin«-Ausgabe, für die Carl Keidel 1940 die typografischen Vorgaben entwickelte. Hölderlin diente den Nationalsozialisten im Dritten Reich als Aushängeschild für Kultur. Folglich wurde die Hölderlin-Ausgabe als Prestigeobjekt vom Staat gefördert, Carl Keidel, der für die technische und typografische Ausführung verantwortlich war, als unabkömmlich erklärt und vom Kriegsdienst befreit.
1944
Stuttgart war ein ausgemachtes Ziel von Fliegerangriffen. Beim Bombenhagel im Juli 1944 blieben in einem Firmengebäude nur noch die Außenmauern übrig; das andere trug erhebliche Schäden davon. Nicht genug damit: Im Sommer 1945 wollte die Besatzungsmacht zwei Druckmaschinen nach Frankreich deportieren. Nur durch die Ablösung der Franzosen durch die Amerikaner im nördlichen Teil Württembergs ließ sich diese Reparation in letzter Minute vermeiden.
Dem Neuanfang nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches standen erhebliche Schwierigkeiten im Weg: Die zerstörten Räumlichkeiten ließen sich nur notdürftig ausbessern, was jedoch Voraussetzung war, um trotz mangelnder Farben- und Papierangebote Druckaufträge abzuwickeln. Zum andern hatte die Besatzungsmacht für jede Veröffentlichung ihre Zustimmung zu geben. In dieser Zeit zahlreicher Engpässe entstanden eine Reihe von Broschüren für die amerikanischen Regiment.
Die Herstellung des »Gesetzblattes« war einer der ersten Aufträge, der nach der Lizenz durch die Militärregierung im notdürftig ausgebesserten Hause Scheufele über die Bühne ging – und auch heute noch bei uns hergestellt und gedruckt wird.
1950
Der älteste Sohn Klaus Keidel (1927–1950) schlug nach der Schriftsetzerlehre eine ähnliche Weiterbildung wie sein Vater ein: An der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart ergänzte er das Fachliche durch das Studium der Schrift, Typografie und Werbegrafik. Durch einen unverschuldeten Motorradunfall kam er 1950 ums Leben.
1954
Sich Peter Keidel (1931–2018) zu nähern, gelingt ganz gut über seine Biografie: Nach dem Abitur 1950 Beginn der Lehrzeit als Buchdrucker. Anschließend Aufenthalt in der Schweiz. Dem schloss sich das Studium in Buchtypografie bei Professor Walter Brudi an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart an. Diesem Ausflug in den künstlerischen Teil des Buchgeschehens folgte erneut praktische Arbeit als Drucker in Schottland. Die satztechnischen Kenntnisse eignete sich Peter Keidel autodidaktisch an, wobei die Basis des Setzerhandwerks bereits durch das Elternhaus vermittelt wurde.
Die Auslandsaufenthalte wirkten sich zu Hause im Betrieb sehr positiv aus. Das mitgebrachte Wissen, besonders der aufkommende Fotosatz und der verstärkt in Erscheinung tretende Offsetdruck ermöglichen schon damals zu Beginn der sechziger Jahre der Offizin Chr. Scheufele die entsprechende Weichenstellung.
Im Jahr 2000 schied er aus der Firma aus, ist jedoch bis heute beratend tätig. Seine lange Berufserfahrung brachte Peter Keidel konsequent bei der Nachwuchsförderung ein: So zum Beispiel über ein Jahrzehnt im Gehilfen-Prüfungsausschuss für Buchdrucker an der IHK Stuttgart.
1984
Mit der Ablösung des Fotosatzes durch den Lasersatz, was die Linotype AG 1986 im Gedenken an das 100-jährige Jubiläum ihrer Zeilensetzmaschine unterstrich, indem sie kommunizierte, mit Adrian Frutiger’s Neuschöpfung der »Centennial«, »die Antiqua fürs Digital-Zeitalter zu machen«. Die Digitalisierung der Schriften und damit die Möglichkeit der Anwendung auf Mac- und PC-Ebene beschäftigte nicht zuletzt Jürgen Keidel, der 1984, nach Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums an der Fachhochschule für Druck in Stuttgart, als Mitgesellschafter in das Unternehmen eintrat.
Mit zu den Konsequenzen der Schriftgestaltung und der immer mehr um sich greifenden Computertechnik ging die Verlagerung der Texterfassung und -formatierung des öfteren auf die Leistungsebene der Auftraggeber über. Auf der anderen Seite hielt ein Großteil der Kunden an der bewährten Zusammenarbeit mit dem auf hoher Qualität ausgerichteten Betrieb fest, da die langjährige Erfahrung im Satz- und Reprobereich am ehesten in den Händen bewährter Fachleute optimale Ergebnisse erbringt.
1990
Im Stadtkern war der räumlichen Ausdehnung schon durch die beengte Zufahrt zum Firmengelände ein Riegel vorgeschoben. Folglich erreichten Peter und Jürgen Keidel mit der Stadtverwaltung eine Übereinkunft, aufgrund derer in Stuttgart-Degerloch im Gewerbegebiet Tränke ein Neubau errichtet werden konnte. Der Umzug 1990 von der Christophstraße 26 zur verkehrsgünstig gelegenen Tränkestraße 17 in den architektonisch ansprechend und funktional ausgeklügelten Neubau für Druckvorstufe, Druck und Weiterverarbeitung erwies sich als dringend notwendig: Jetzt waren die Voraussetzungen getroffen, auch großformatige Maschinen mit mehr als vier Druckwerken aufzustellen.
2008
Im November 2008 wurde im Großen Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses das 200-jährige Firmenjubiläum der Offizin Scheufele gefeiert. Gemeinsam mit seiner Familie, seinen Mitarbeitern, den Festrednern Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster, Michael Hüffner vom Verband Druck und Medien in Baden-Württemberg und Bernhard Schreier, dem Vorstandsvorsitzenden der Heidelberger Druckmaschinen, sowie mit vielen Freunden und Gästen, feierte Jürgen Keidel ein in Stuttgart einzigartiges Jubiläum.
Seit acht Generationen wird die Druckerei innerhalb der Familie erfolgreich weitergeführt, was zeigt, dass der Begriff Familie in diesem Unternehmen seit inzwischen mehr als 200 Jahren eine zentrale Rolle spielt. Seit dem Jahr 1808 bilden auch die Mitarbeiter das Rückgrat der Firma. Bei einer Diaschau konnten die Jubiläumsgäste sehen, mit wie viel Freude und Engagement in dieser Firma gearbeitet wird und wie groß der Zusammenhalt ist.
2015
Im Juli 2015 wurde in der Offizin Scheufele eine neue HEIDELBERG XL 106-4 LE-UV installiert. Die Druckmaschine arbeitet unter Verwendung spezieller Druckfarben, welche durch das Einwirken von UV-Strahlung zum Härten gebracht werden.
Vorteil dieser Farben ist zum einen, dass sie gegenüber herkömmlichen ölbasierenden Druckfarben nicht bis zu 48 Stunden durchtrocknen müssen, sondern sofort im Trocknungsprozess aushärten. Somit können die Druckbögen ohne Wartezeiten ein zweites Mal bedruckt oder direkt weiterverarbeitet werden. Auch schwer trocknende Materialien lassen sich somit problemlos bedrucken.
Einen weiteren wichtigen Vorteil verschafft die Technik in Verbindung mit Natur- und Designpapieren. Da die Farbe schlagartig gehärtet wird und nicht wie die herkömmliche Farbe in das Papier wegschlagen kann werden wesentlich brillantere und farbintensivere Ergebnisse erzielt.
2017
Die Offizin Scheufele investierte Ende 2017 in eine 100 kWp Photovoltaikanlage auf der gesamten Dachfläche der Offizin Scheufele im Degerlocher Industriegebiet Tränke.